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Mindestanforderungen sind zu überprüfen vor Haftungsanspruch

Das Oberlandesgericht Hamm hat in seiner Entscheidung 11 U 112/22 vom 24.11.2023 klargestellt, dass bevor eine Haftung eines gerichtlichen Sachverständigen bestehen kann, zu prüfen ist, ob dieser die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht eingehalten hat.

Konkret führt das Oberlandesgericht aus:

Allerdings hat das Gutachten der Beklagten keine schwerwiegenden Unrichtigkeiten aufgewiesen, die den Vorwurf einer vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen unrichtigen Gutachtenerstattung durch die Beklagte rechtfertigen könnten.55

Unrichtig ist ein Sachverständigengutachten dann, wenn es nicht der objektiven Sachlage entspricht, also die vom Sachverständigen festgestellten Tatsachen nicht existieren oder die Befunderhebung, soweit nicht vom Gericht vorgegeben, fehlerhaft oder unvollständig ist, oder wenn der Sachverständige aus dem festgestellten Sachverhalt falsche, unhaltbare Schlüsse zieht (Berkemann, Haftung des Sachverständigen nach § 839 a BGB – Rechtsprechung im Überblick (BGH/OLG), Juris-Mitteilungen 2021, 65 ff, 68; Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB 8. Auflage 2020 § 839 a Rn. 19 m.w.Nw.; BGH, Urteil vom 10.10.2013, III ZR 345/12 – Rz. 17 juris; Senatsurteil vom 12.01.2022, I-11 U 21/21 – Rz. 50 juris).56

Grobe Fahrlässigkeit erfordert einen in objektiver Hinsicht schweren und in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss vom Sachverständigen dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Für die Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen nach § 839a BGB bedeutet dies, dass der Sachverständige in objektiver Hinsicht bei der Erstellung des Gutachtens die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige unbeachtet gelassen haben muss, was jedem Sachverständigen hätte einleuchten müssen; seine Pflichtverletzung muss mithin schlechthin unentschuldbar sein. Auch in subjektiver Hinsicht muss den Sachverständigen ein besonders schweres Verschulden treffen, wobei es freilich im Einzelfall gerechtfertigt sein kann, von einem bestimmten äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des damit einhergehenden objektiven Pflichtenverstoßes auf innere Vorgänge und eine gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit zu schließen (BGH, Urteil vom 10.10.2013, III ZR 345/12 –Rz. 27 f. juris; OLG Hamm, Urteil vom 22.10.2013, I-9 U 135/12 – Rz. 30 juris).

OLG Hamm

Weiter wird ausgeführt:

Auch die vom Sachverständigen K. seiner gutachterlichen Bewertung der Tätigkeit der Beklagten zugrunde gelegten „Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht“ der Arbeitsgruppe Familienrechtlichen Gutachten aus dem Jahr 2015 (im Folgenden „Mindestanforderungen 2015“ genannt – die überarbeitete Auflage der Mindestanforderungen aus dem Jahr 2019 ist vorliegend nicht einschlägig, weil das streitgegenständliche Gutachten von der Beklagte bereits im Jahr 2018 erstattet wurde) sehen nicht das Erfordernis einer Approbation vor. Die Mindestanforderungen haben zwar keine Gesetzeskraft und binden das Gericht nicht. Sie sind aber vom Sachverständigen K. zu Recht als wichtige Orientierung bei der Beurteilung des Gutachtens der Beklagten zugrunde gelegt worden (vgl. auch Hammer, a.a.O. § 163 FamFG Rn. 29a Fn. 244).

OLG Hamm

Und weiter:

Besteht der Verdacht der psychischen Erkrankung eines Elternteils bedarf es je nach Einzelfall gegebenenfalls einer Begutachtung durch einen Erwachsenenpsychiater oder Psychotherapeuten zur Feststellung der Erkrankung bei dem jeweiligen Elternteil und zu eventuellen Behandlungsmöglichkeiten, als auch die Begutachtung durch einen Psychologen, der die Auswirkungen der Erkrankung auf die Erziehungsfähigkeit würdigen kann. Denn maßgeblich ist in Kindschaftssachen nicht die sichere Diagnose einer psychischen Erkrankung, sondern sind die Auswirkungen psychischer Auffälligkeiten auf das Kind (Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Auflage 2023, § 163 FamFG Rn. 9g m.w.Nw.).

OLG Hamm

Insbesondere prüft das OLG Hamm die verschiedenen Punkte durch, was Approbation, Notwendigkeit mehrerer Gutachten, Qualifikation, formelle Voraussetzungen, Nachvollziehbarkeit und Transparenz usw.

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