In seiner Entscheidung 1 U 6/21 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am 27.7.2023 einen Anspruch auf Schadensersatz und damit die Haftung des Jugendamtes als Amtspfleger bejaht. Der Schadensersatz wurde mit 3.000 € für die Trennung allerdings sehr zurückhaltend bemessen.
Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt muss daher der Amtspfleger eigenständig die Notwendigkeit einer Herausnahme regelmäßig überprüfen. Er oder sie muss dabei Prüfen, dass die Aufrechterhaltung der Maßnahme weiterhin geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist und die Situation des Kindes auch im Hinblick auf das Kindeswohl in der Gesamtbetrachtung verbessert.
Eine vertretbare anderslautende Entscheidung des Amtspflegers wäre dabei nicht schuldhaft, so dass Ersatzansprüche nicht bestehen würden.
Die Entscheidung kann im Volltext hier abgerufen werden.
Die Besonderheit des Einzelfalls sind hier, dass offenbar ein Einverständnis der Eltern mit der Inobhutnahme vorlag.
Besonders herausgearbeitet sind die Grundlagen der Prüfpflichten eines Amtspflegers:
„Schuldhafte Verletzungen dieser der Pflegerin bzw. dem Jugendamt obliegenden Pflichten können eine Haftung wegen Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder gemäß §§ 1833, 1915 BGB i.V.m. § 56 Abs. 1 SGB VIII begründen (Winkler in BeckOK Sozialrecht, 67. Ed., § 55 SGB VIII Rdn. 14; Kunkel in Kunkel u.a., SGB VIII, 8. Aufl., § 55 Rdn. 41; BGH NJW 2014, 692; BGHZ 77, 224). Der Amtspfleger muss – wie jeder Beamte – sein Amt im Einklang mit dem objektiven Recht ausüben und die Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft prüfen. Kommt er auf dieser Grundlage zu einer vertretbaren Auffassung, handelt er nicht schuldhaft, auch wenn seine Auffassung später durch ein Gericht missbilligt wird; eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung ist bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zu berücksichtigen (vgl. dazu Palandt-Sprau, 80. Aufl., § 839 Rdn. 32, 53; BGH NJW 1992, 3229; NJW 2003, 3693, 3696; VersR 1989, 184).“
OLG Frankfurt aaO
Durch die Fremdunterbringung muss also eine Situationsverbesserung erfolgen, wie es das BVerfG wiederholt festgestellt hat („dass es darauf ankomme, dass die Fremdunterbringung die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (BVerfG, B. v. 27.11.2020 – 1 BvR 836/20, Rdn. 29; B. v. 24.3.2014 – 1 BvR 160/14, Rdn. 38)“.).
Insbesondere muss, so das OLG Frankfurt, immer die Übergabe an den anderen Elternteil geprüft werden:
Denn der Gefahr erneuter Misshandlungen konnte dadurch begegnet werden, dass der Kläger zu 1 bis zur endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht bei seinem Vater untergebracht wurde. Selbst wenn man die Bedenken des Familiengerichts aus dem Beschluss vom 1.12.2016, dass ein sofortiger Aufenthaltswechsel zu dem Kläger zu 2 mangels professioneller Unterstützung nicht möglich sei, berücksichtigt, kann das nicht bedeuten, dass deshalb ein mehrmonatiger Aufenthalt in völlig fremder Umgebung die sachlich richtige Entscheidung ist. Das Jugendamt hätte dann für die entsprechende Unterstützung sorgen oder den Kläger zu 2 auffordern müssen, dafür Sorge zu tragen. Der Senat hält diese in dem gerichtlichen Beschluss formulierte Einschränkung aber für offensichtlich nicht überzeugend. Wenn wegen der Misshandlungsvorwürfe eine Rückkehr des Klägers zu 1 zu seiner Mutter zunächst nicht in Frage kam, unterscheidet sich die Problemlage nicht davon, dass ein Elternteil wegen Krankheit oder aus anderen Gründen an der tatsächlichen Sorge für das Kind gehindert ist. In einem solchen Fall müsste es aber als selbstverständlich erscheinen, dass das Kind dann sofort vom anderen Elternteil, mit dem es regelmäßig Umgang hat und mit dem es vertraut ist, versorgt wird. Ein Ortswechsel von Stadt1 nach Stadt2 und ein etwaiger Schulwechsel können dabei keine erheblichen Hinderungsgründe darstellen.
OLG Frankfurt aaO
Selbstverständlich muss dann ein anderer Elternteil zuvörderst mit der Kinderbetreuung betraut werden.
In der Realität findet eine solche „Selbstverständlichkeit“ nicht statt, wie Entscheidungen von Kaiserslautern bis Hamburg zeigen.
Das Hauptproblem im vorliegenden Fall ist allerdings der für 3 1/2 Monate Herausnahme mit 3.000 € sehr gering ausgefallene Schadensersatz. Dieser ist m.E. nicht geeignet, eine präventive Wirkung zu gestalten. Gleichwohl beinhaltet die Entscheidung eine Vielzahl wichtiger Aussagen.